Angst vorm Nikolaus

Gemeinsam mit artgerecht-Coach Sabrina von einfach baby sein habe ich über kindliche Ängste und das Brav-Sein geschrieben - und was Depressionen im Erwachsenenalter damit zu tun haben.

 

"Sabrina

 

Als Figur aus Erzählungen und Bilderbüchern ist der Nikolaus ein guter Mann.

Alle Jahre wieder klopft der Nikolaus an unsere Haustür und bringt für brave Kinder Geschenke mit. Die unartigen werden von Knecht Ruprecht oder dem Krampus „in Gewahrsam“ genommen. So drohen einige Schauergeschichten und manche Menschen, die den Kindern mehr oder weniger nahe stehen.

Leider fungiert der Nikolaus je nach Auslegung der Tradition als Richter. Beschämend liest er alle Missetaten aus seinem goldenen Buch vor und verurteilt alle Kinder, die nicht brav waren.

 

Julia

 

Doch was ist Brav-Sein?

Noch immer ist die Meinung weit verbreitet, Kinder "haben zu gehorchen". Sie sollen das tun, was man ihnen sagt. Dabei ist egal, was sie möchten. Ein braves Kind stört nicht, folgt den Eltern und entspricht ihren "Vorgaben".

Das Kind wird nicht in seiner individuellen Persönlichkeit, mit seinem Entwicklungsstand und seinen eigenen Erfahrungen angenommen, wenn es sich nur so verhalten soll, dass es für die Eltern möglichst pflegeleicht ist.

Zudem haben viele Eltern übertrieben hohe Ansprüche an ihre Kinder. Sie appelieren bei ihnen an eine erwachsene Vernunft, wollen, dass sie vorausdenken, die Folgen ihres Handelns abschätzen und sich in die Eltern hineinversetzen können, einen guten Willen zeigen, ... Und wenn sie dem nicht nachkommen, gelten sie - obwohl sie diese Dinge schlicht noch nicht können - als "nicht brav". Es wird ihnen unterstellt, absichtlich böse zu sein.

 

Sabrina

 

Es ist unfair, als Eltern dem Nikolaus beziehungsweise seinem Gehilfen Verantwortung zu übertragen, die wir übers Jahr verteilt selbst nicht an den Tag legen. Wenn das Kind Dinge tut, die wir nicht wollen, müssen wir ihm höchstpersönlich mit unserer Klarheit begegnen. Das geschieht mit Botschaften, die unsere Befindlichkeiten ausdrücken, die dem Kind wiederum unsere Grenzen aufzeigen und unsere Werte vermitteln. Und das muss unmittelbar geschehen und nicht etwa ein halbes Jahr später, wenn der Nikolaus kommt...

Der Nikolaus wird als Werkzeug der Kindererziehung missbraucht. Doch was hat es mit

Erziehung auf sich?

 

Julia

 

Oft wird Gewalt angewendet, um "braves" Verhalten zu generieren, also, ein wenig störendes, gut funktionierendes Kind zu erhalten. Dies wird dann als Erziehung bezeichnet.

Zu schimpfen, zu manipulieren, zu strafen oder zu erpressen ("wenn du nicht lieb bist, bringt dir der Nikolaus nichts") führt nicht dazu, dass das Kind zu einer Einsicht gelangt, aufgrund derer es sein - von den Eltern unerwünschtes - Verhalten ändert.

Es führt dazu, dass es "lernt": "Ich bin falsch, meine Bedürfnisse sind falsch, ich muss bestraft werden".

Ein so eingeschüchtertes ("braves") Kind ist in großer Not. Es lernt, dass das Zeigen seiner Bedürfnisse zu Strafen und Liebesentzug führen kann ("wenn du wieder lieb bist, kannst du raus kommen"). Die Liebe seiner Eltern zu verlieren, ist das Schlimmste was einem Kind passieren kann, denn es ist auf ihre Liebe und Versorgung angewiesen.

Ein Kind, das gesagt bekommt, dass es nicht vom Nikolaus beschenkt oder gelobt - oder sogar bestraft und geschimpft werden wird, ist in der gleichen Not. Es lernt: "So, wie ich bin, bin ich falsch. Ich soll anders sein".

Es geht nicht darum, ob ein Kind nun ein Geschenk bekommt, oder nicht. Dem einen "sei brav" der Eltern können jedoch weitere Sätze, wie "sei endlich still", "hör auf zu nerven", usw. folgen. Aus diesen Aussagen formt sich nach und nach das Bild, dass das Kind von sich selbst hat.

Wenn Kinder dann funktionieren, nicht mehr sie selber sind, sondern nur das tun, was von ihnen erwartet wird, sind sie auf dem besten Wege, funktionierende Erwachsene zu werden, die irgendwie überleben, statt zu leben. Weil sie den tiefsitzenden Schmerz ("ich bin falsch") wegdrücken, um ihn nicht zu fühlen, bleiben leider auch alle anderen Gefühle auf der Strecke. Dadurch entsteht die innere Leere, die Depression, die viele Erwachsene heute kennen.

 

Sabrina

 

Auch wenn die Eltern die Nikolaustradition liebevoll aufrecht erhalten, fürchten sich vor allem die Kleinsten vor ihm. Sie haben Recht, denn der fremde Mann im roten Mantel gehört einfach nicht zum Clan! So wie er gestiefelt und maskiert mit Rauschebart und Mitra da steht, ist plötzlich die Erwartung ans Kind groß. Eltern und Nikolaus wollen funkelnde Augen und pure Freude sehen – das kann zu viel verlangt sein!

Reagiert das Kind zurückhaltend oder ängstlich, weint es oder will auf den Arm, dann ist das okay! Weder muss es sich anfassen lassen oder dem Nikolaus die Hand geben oder sein Geschenk persönlich entgegen nehmen, wenn ihm das suspekt ist. Nehmen wir das Kind in dieser Situation ernst, weiß es sich beschützt bei Mama oder Papa und fühlt sich gesehen in seinem Bedürnis, sich beim Kennenlernen fremder Menschen getrost Zeit lassen zu dürfen. Dieses Bedürfnis haben wir Erwachsene auch, wir kommen solchen Situationen mit Small Talk bei.

Auf dass dieses Jahr niemand in den Sack gesteckt wird. Und niemandem mit der Rute gedroht wird. Und dass das Kind uns zeigen darf, wenn es Angst hat und wir es selbstverständlich in den Arm nehmen.

 

Julia

 

Es ist höchste Zeit, das gesellschaftlich geprägte, negative Bild vom Kind loszulassen.

Seien wir achtsam unseren Kindern gegenüber. Nehmen wir sie als die Menschen wahr, die sie sind. Immer. Auch in Stressmomenten, auch im Trubel der Vorweihnachtszeit.

 

Schöne Bescherung - Beschenken wir sie mit unserer Liebe!"

 

 

Mehr über Sabrina findet ihr hier:

 

www.einfachbabysein.de und hier:
www.sabrinajakob.de

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Bilder: Neben Süßigkeiten bringen der Nikolaus und sein Gehilfe manchesmal auch Angst ins Haus. Beim Babyzeichen für "Angst" klopft das Kind sich mit der Faust auf die Brust.

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